Automatisierungsstrategien in heterogenen Systemlandschaften
Automatisierungsstrategien in heterogenen Systemlandschaften bezeichnen einen strukturierten Ansatz zur Einführung und Nutzung von Automatisierungstechnologien in IT-Umgebungen, die durch eine Vielfalt unterschiedlicher Systeme, Technologien, Herkunftsjahre und Betriebsmodelle gekennzeichnet sind.1 Ziel ist es, Effizienz, Zuverlässigkeit und Agilität zu steigern, während die inhärente Komplexität und Integrationsschwierigkeiten bewältigt werden.2 Solche Strategien verbinden architektonische Planung mit organisatorischen Veränderungen und einem Fokus auf nachhaltige Integration.
Einführung: Das Paradigma der Heterogenität
Eine heterogene Systemlandschaft entsteht typischerweise durch historisches Wachstum, Unternehmensfusionen oder dezentrale IT-Entscheidungen. Sie ist gekennzeichnet durch eine Vielfalt an:
- Technologien und Generationen: Von Mainframes und Client-Server-Anwendungen bis zu Cloud-native Microservices.3
- Herstellern und Standards: Unterschiedliche Systeme von verschiedenen Anbietern mit proprietären Schnittstellen.
- Betriebsmodellen: Eine Mischung aus On-Premises-Rechenzentren, privaten, öffentlichen und hybriden Cloud-Diensten.
Diese Vielfalt führt zu isolierten Informationssilos, die einen reibungslosen Informationsaustausch behindern und manuelle Prozesse erzwingen.[^4] Eine Automatisierungsstrategie muss daher nicht nur neue Technologien einführen, sondern auch die bestehende, komplexe Landschaft integrieren und vereinheitlichen.
Architektonische Grundlagen und Evolution
Die Architektur bildet das Fundament jeder Automatisierungsstrategie. Historisch betrachtet, hat sich die Systemarchitektur für die Automatisierung von proprietären, geschlossenen Systemen hin zu offenen, integrierbaren Architekturen entwickelt.3 Dieser Wandel wurde durch die Konvergenz verschiedener Technologien wie Mikroprozessoren, Kommunikationsnetzwerken und modernen Displays vorangetrieben, ähnlich den disruptiven Entwicklungen der frühen 1970er Jahre, die zur ersten Generation verteilter Steuerungssysteme (DCS) führten.3
Moderne Architekturkonzepte wie die Serviceorientierte Architektur (SOA) und die Nutzung von Anwendungsinfrastrukturen sind zentral, um scheinbar disparate Komponenten in ein effektives und konsistentes Ganzes zu integrieren.3 Die Architektur bestimmt maßgeblich, wie gut Anwendungen integriert, bereitgestellt und über ihren gesamten Lebenszyklus unterstützt werden können.
Ebenen einer Automatisierungsarchitektur
Eine umfassende Strategie adressiert mehrere Ebenen der IT:
| Ebene | Ziel & Beschreibung | Typische Technologien & Konzepte |
|---|---|---|
| Infrastruktur | Automatisierung der grundlegenden Bereitstellung und Konfiguration von Ressourcen. | Infrastructure as Code (IaC), Cloud-Automatisierung, virtuelle Maschinen, Container. |
| Integration | Nahtloser, automatisierter Datenaustausch zwischen heterogenen Systemen. | Enterprise Service Bus (ESB), API-Management, Integrationsplattformen (iPaaS), Middleware. |
| Prozess & Anwendung | Automatisierung von Geschäftsprozessen und Anwendungslebenszyklen. | Robotic Process Automation (RPA), CI/CD-Pipelines, Workflow-Automatisierung. |
| Intelligente Steuerung | Einbindung von Datenanalyse und KI für adaptive, vorausschauende Automatisierung. | AIOps, Predictive Maintenance, Modellprädiktive Regelung (MPC).[^5] |
Kernelemente einer erfolgreichen Strategie
1. Standardisierung und Konsolidierung als Voraussetzung
Die Basis für effiziente Automatisierung ist die Reduktion unnötiger Komplexität. Ein pragmatischer Standardisierungsprozess, wie das 5-Phasen-Modell nach Palladio Consulting, schafft die notwendige Transparenz und Ordnung:1
- Ist-Systemlandschaft erfassen: Pragmatische Bestandsaufnahme mit Fokus auf Kernmerkmale wie Systeme, Verantwortliche und Schnittstellen.
- Standardisierungsstrategie definieren: Klare Ziele festlegen (z.B. Kostenreduktion, Komplexitätsbeherrschung, Sicherheitsverbesserung).
- Soll-Systemlandschaft gestalten: Bewertung jedes Systems auf sein Standardisierungspotenzial.
- Umsetzungsplan erarbeiten: Priorisierung und Roadmap für Konsolidierungs- und Migrationsprojekte.
- Umsetzung und Kontrolle: Durchführung und Erfolgsmessung anhand der definierten Ziele.
Ein Ziel sollte die Standardisierung auf Ebene von IT-Services (z.B. "Collaboration Hub") und nicht auf Herstellerebene sein, um langfristige Flexibilität zu erhalten.1
2. Die strategische Rolle von Schnittstellen und Integration
In heterogenen Landschaften ist die Integration die größte Herausforderung und gleichzeitig der Hebel für umfassende Automatisierung.3 Unterschiedliche Kommunikationsprotokolle, Datenformate und Systemstandards verhindern eine native Kommunikation.
- Schnittstellen als Brücken: Eine fachgerecht konzipierte und umgesetzte Schnittstelle fungiert als essentielle Brücke zwischen isolierten Systemen und ermöglicht den automatisierten Datenaustausch.
- Vom Punkt-zu-Punkt zur Plattform: Statt vieler individueller Punkt-zu-Punkt-Verbindungen sollten integrierende Plattformkonzepte wie ein Enterprise Service Bus (ESB) oder API-Gateways eingesetzt werden, die eine zentrale, verwaltbare und standardisierte Kommunikation ermöglichen.3
- Kritische Wartung: Schnittstellen müssen regelmäßig gepflegt und bei Erweiterungen der Systemlandschaft angepasst werden – ein oft unterschätzter Aufwand, für den internes Know-how aufgebaut oder extern eingekauft werden muss.
3. Vom Automatisierungsprojekt zur nachhaltigen Organisationsfähigkeit
Technologie allein reicht nicht aus. Der Erfolg hängt von organisatorischen Anpassungen ab:2
- DevOps-Kultur: Die Etablierung von cross-funktionalen Teams, die Entwicklung und Betrieb vereinen, beschleunigt Automatisierungszyklen und erhöht die Stabilität.
- Center of Excellence (CoE): Ein zentrales Expertenteam kann Best Practices entwickeln, wiederverwendbare Automatisierungsmodule bereitstellen und andere Teams beraten und schulen.
- Skill-Entwicklung: Mitarbeiter benötigen Kompetenzen in Skriptsprachen, IaC-Tools (wie Terraform, Ansible), API-Design und Integrationsmustern.
Herausforderungen und strategische Risiken
Die Implementierung von Automatisierung in heterogenen Umgebungen ist mit spezifischen Hindernissen verbunden:
- Hohe Anfangsinvestition und ROI-Berechnung: Die Kosten für Integration, Migration und Training sind beträchtlich. Der Return on Investment (ROI) muss klar, oft anhand von Reduktion manueller Arbeit und geringerer Fehlerquote, definiert und kommuniziert werden.
- Vendor Lock-in und Abhängigkeiten: Die Konzentration auf einen einzelnen Anbieter für Integrations- oder Automatisierungsplattformen kann neue Abhängigkeiten schaffen. Strategien müssen auf Offenheit und Interoperabilität achten.3
- Sicherheit und Compliance: Jede neue Schnittstelle und jeder automatisierte Datenfluss erweitert die Angriffsfläche. Sicherheits- und Compliance-Anforderungen (wie DSGVO) müssen von Anfang an in das Design der Automatisierungsprozesse integriert werden.
- Widerstand gegen Veränderung: Automatisierung wird oft als Bedrohung von Arbeitsplätzen wahrgenommen. Eine transparente Kommunikation, die den Fokus auf die Veränderung von Aufgabengebieten (Upskilling) legt, ist entscheidend.
Ausblick: Trends und zukünftige Entwicklung
Die Zukunft der Automatisierung in komplexen Landschaften wird von mehreren Trends geprägt:2[^5]
- Hyperautomation: Die kombinierte Anwendung von Technologien wie RPA, KI, Process Mining und IaC, um Automatisierung über einfache Aufgaben hinaus auf komplette, komplexe Geschäftsprozesse auszuweiten.
- AIOps und autonome Systeme: Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz für IT-Betrieb (AIOps) ermöglicht nicht nur die Analyse von Betriebsdaten, sondern zunehmend auch autonome, selbstkorrigierende Aktionen. Die Entwicklung geht von Automatisierung (regelbasiert) zu Autonomie (zielorientiert mit adaptivem Verhalten).[^5]
- Konvergenz von OT und IT: In der Industrie verschmelzen Operational Technology (OT) und Information Technology (IT) zunehmend. Cyber-Physische Systeme und der Digitale Zwilling erfordern Automatisierungsstrategien, die beide Welten nahtlos verbinden.3
- Demokratisierung der Automatisierung (Low-Code/No-Code): Plattformen, die es Fachbereichen mit geringen Programmierkenntnissen ermöglichen, einfache Automatisierungen selbst zu erstellen, entlasten IT-Abteilungen, erfordern aber klare Governance-Rahmen.
Fazit
Eine erfolgreiche Automatisierungsstrategie in heterogenen Systemlandschaften ist kein rein technisches Projekt, sondern ein kontinuierlicher Managementprozess. Sie erfordert ein Gleichgewicht zwischen der Konsolidierung und Standardisierung der bestehenden Landschaft, der strategischen Investition in integrierende Plattformen und Schnittstellen und der Entwicklung organisatorischer Fähigkeiten.13
Der langfristige Nutzen – reduzierte Betriebskosten, höhere Agilität, verbesserte Datenqualität und Resilienz – rechtfertigt den Aufwand. Unternehmen, die diesen Weg strukturiert beschreiten, wandeln ihre historisch gewachsene IT-Landschaft von einem Kostentreiber und Bremsklotz in eine zuverlässige und innovative Plattform für das Geschäft der Zukunft um.
Einzelnachweise
Footnotes
-
S. Köppl, „Konzeption einer IT-Systemlandschaft unter besonderer Berücksichtigung der Standardisierungs- und Konsolidierungsmöglichkeiten am Beispiel der Palladio Consulting GmbH“, Bachelorarbeit, Hochschule München, 2013. Verfügbar unter: https://www.theseus.fi/handle/10024/501967 ↩ ↩2 ↩3 ↩4
-
Y. Jiang et al., „A Survey of AIOps for Modern and Future IT Operations“, Journal of Electrical and Computer Engineering, Bd. 2022, Artikel-ID 9227948, 2022. doi:10.1155/2022/9227948. ↩ ↩2 ↩3
-
B. Häfner und B. Vogel-Heuser, „Architectures and Engineering Processes for Complex, Long-life, Embedded, and Safe IT Systems: A Convergence of Technologies Requiring a New Engineering Approach“, in 2009 IEEE International Conference and Workshops on Engineering of Computer-Based Systems, 2009, S. 3-12. doi:10.1109/ECBS.2009.57. ↩ ↩2 ↩3 ↩4 ↩5 ↩6 ↩7 ↩8 ↩9